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Es ist nur ein Job: Ist Leidenschaft im Beruf wichtig?

Wir fühlen uns schlecht, weil wir unseren Job nicht über alles lieben, sondern einfach nur machen. Motivationsexperten streuen uns Salz in diese Wunde und erzählen uns von Menschen, die im Job ihrer Leidenschaft nachgehen. Wir müssen nicht darauf hören. Warum sind Traumjobs nicht unbedingt ein Traum? Warum ist zu viel Leidenschaft im Beruf ist nicht immer erstrebenswert und sogar kontraproduktiv?

Love it, change it or leave it?

„Love it, change it or leave it“ heißt das Mantra des aufgeklärten Arbeiters: Wenn Sie Ihren Job nicht lieben, dann müssen sie etwas daran ändern. Das stellt sich oft als Ding der Unmöglichkeit heraus – es gibt nun mal feste Strukturen, Prozesse, Organigramme. Also bleibt nur eins: kündigen und was ganz Neues machen. „Lebe deinen Traum!“

Unterfüttert werden diese Mantras mit Beispielen wie dem Geschäftsführer, der nach dem dritten Burnout hinschmeißt und eine Surfschule auf Bora-Bora eröffnet; oder der Beraterin, die keine 70-Stunden-Wochen bei der internationalen Top-Consulting-Group mehr schieben will, sich von den angesparten Millionen Euros einen Biobauernhof kauft und handgeklöppelte Topflappen aus der Wolle selbst gezüchteter Angoraziegen herstellt.

Wenn es einfach nur ein Job ist?

Was uns diese Beispiele sagen wollen: Wenn du einfach nur einen Job hast, der dir Miete, Brötchen und Auto zahlt, dann bist du ein Verlierer. Wenn du nicht jeden Tag frühmorgens voller Leidenschaft ins Büro gehst und den ganzen Tag über dein Glück kaum fassen kannst, dass du diese Arbeit tun darfst; wenn dein Insta-Selfie vom Morgenkaffee am Schreibtisch nicht eine Million Likes von deinen Followern bekommt: dann läuft in deinem Leben etwas ganz gehörig falsch. Das ist – mit Verlaub, liebe Motivationsexperten – völliger Blödsinn. Aus (mindestens) fünf Gründen.

1. Nicht jeder hat ideale Voraussetzungen

Die oben erwähnten Beispiele sind lediglich Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Die betreffenden Personen, so unterschiedlich sie sein mögen, haben ganz bestimmte Voraussetzungen. Sie sind überdurchschnittlich gebildet und/oder talentiert, familiär ungebunden. Sie haben vor allem jahrelang in einem überbezahlten Job ihre Seele verkauft und ein sechs- oder siebenstelliges Vermögen angehäuft, dass ihnen ihr Maß an Freiheit und Verrücktheit erlaubt. Was ihnen aufrichtig gegönnt sei.

Hätten diese Personen Schulkinder gehabt oder ein Häuschen, das abbezahlt werden muss, oder eine Stelle als Sachbearbeiter – das alles soll vorkommen –: die Geschichte wäre höchstwahrscheinlich anders verlaufen.

2. „Traumberufe“ sind hochkompetitiv

Wir kennen Topmodels, Rockstars, Schriftsteller, Hollywood-Schauspieler, Profifußballer; auch Erfinder und Archäologen. Hinter jeder Erfolgsgeschichte steht ein Heer von Niemanden, die es in den Berufen nicht weit genug gebracht haben und sich bestenfalls mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser halten. In allen „Traumberufen“ kämpfen Massen um extrem wenige Stellen und es ist extrem unwahrscheinlich, in solchen Berufen auch nur sein sicheres Auskommen zu finden.

3. Leidenschaften können sich ändern

Leidenschaften und Träume wechseln schneller, als wir uns bewusst sind. Wenn ich bis gestern gerne fotografiert habe, ab heute aber lieber malen will, ist das kein Problem. Außer, ich habe mich schon für eine Karriere als Fotograf entschieden und sehr viel investiert. Das Schöne an Leidenschaften – oder Hobbys – ist doch: Ich kann sie frei ausüben, solange ich Spaß daran habe; ohne Druck, perfekt sein zu müssen. Für eine Entscheidung über meine berufliche Zukunft, die die nächsten 20, 30, 40 oder vielleicht mehr Jahre meines Lebens beeinflusst, sind Hobbys also nicht unbedingt die passende Grundlage.

4. Zu viel Leidenschaft im Beruf macht ineffizient

Zweitens sind Leidenschaft und grenzenlose Begeisterung in vielen Jobs überhaupt nicht hilfreich. Ein Designer entwirft mit viel Hingabe ein neues Produkt. Doch selbst er muss akzeptieren, dass sein Entwurf wegen Kosteneinsparungen im Cent-Bereich abrasiert wird. Der Vollblut-Anwalt muss seine Fälle mit Distanz beurteilen, kühl die Chancen abwägen und wird wohl kaum einen aussichtslosen Prozess führen nur, weil er sich im Gerichtssaal wie zu Hause fühlt. Wie lange würde wohl ein Controller seinen Job behalten, wenn er permanent neue Reports und Kalkulationsmodelle erfindet, nur weil er ein absoluter Zahlenfreak ist?

Wer zu sehr liebt, was er tut, wird ineffizient, er verliert sich in Details, vergisst das große Ganze. Große Erfindungen der Menschheit sind hauptsächlich unserer Faulheit zu verdanken. Irgendjemand dachte sich: Diese (lästige) Aufgabe muss doch einfacher und schneller erledigt werden können. Dass wir Arbeit hinter uns bringen und Feierabend haben wollen, lässt uns rationell arbeiten, neue Lösungen suchen und Prioritäten setzen.

5. Glück ist nicht nur im Job zu finden

Last, but überhaupt nicht least:  Der Zwang des unbedingten Glücks im Beruf impliziert die Annahme, dass Glück nur im Job zu finden wäre. Jedoch bleiben erstaunlicherweise von unseren 168 verfügbaren Stunden pro Woche, abzüglich 40 Stunden Arbeit und 56 Stunden Schlaf noch ganze 72 Stunden übrig, in denen wir unser Glück finden können. Und sollten.

Denn so sehr wir unseren Job lieben, er liebt uns nicht zurück. Er sagt morgens, wenn wir ins Büro kommen, nicht „Schön, dass du da bist“. Er führt keine tiefgehenden Gespräche mit uns, erklärt uns nicht den Sinn des Lebens. Er backt keinen Kuchen für uns. Und er muntert uns erst recht nicht auf, wenn unsere Abteilung wegrationalisiert wird.

Wenn Ihr Job also einfach nur ein Job ist, dann ist das okay. Wichtig ist nicht, dass Sie Ihre Leidenschaft im Beruf finden und in Ihrem Job glücklich werden. Wichtig ist, dass Sie Ihre Leidenschaft finden und glücklich werden.

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