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Jährliches Mitarbeitergespräch: Gibt es bessere Alternativen?

Eine Umfrage unter Angestellten, wie sehr sie sich durch das jährliche Mitarbeitergespräch motiviert fühlten, würde wohl erschreckendes ans Tageslicht bringen. Trotzdem ist das Jahresgespräch in vielen Betrieben nach wie vor ein zentrales Instrument der Mitarbeiterführung. Es spricht einiges dafür, das möglich schnell zu ändern.

Warum funktionieren jährliche Mitarbeitergespräche nicht? Sind Check-in-Gespräche die bessere Alternative?

Jährliche Mitarbeitergespräche sind oft demotivierend

Kennen Sie auch diese vier Arten von Jahresgesprächen? 

Version eins: „War doch nett, mal wieder zu reden.“ Mitarbeitende machen seit zehn Jahren das Gleiche, auf ordentlichem Niveau; und werden auch die nächsten zehn Jahre das Gleiche tun. Alles „isch g’schwätzt“, wie der Schwabe sagt. Man trifft sich zum Jahresende und reüssiert eine Stunde bei Kaffee und Keksen. Fazit: Überflüssig. 

Version zwei: „Das muss besser werden.“ Der Mitarbeiter bekommt eine Stunde lang seine Versäumnisse zu hören, dass sich dringend was ändern muss und dass das schwierige Marktumfeld keine Ausrede für niedrige Umsätze sei. Fazit: Demotivierend und wenig konstruktiv. 

Version drei: „Das war gut, muss aber trotzdem noch besser werden.“ Der Mitarbeiter wird eine Stunde lang für seine tolle Arbeit gelobt, nur um dann zu erfahren, dass kommendes Jahr mindestens noch mal 15 Prozent draufgelegt werden müssen – unabhängig von der Marktentwicklung. Aus Prinzip. Fazit: Auch nicht wirklich motivierend.

Version vier: „Alles super, oder?“ Führungskraft und Mitarbeitende gehen den standardisierten Fragebogen durch und bewerten sich gegenseitig. Da am Ende des vorgegebenen Gesprächsverlaufs der Jahresbonus festgelegt wird, hüten sich Mitarbeitende, auch nur die leiseste Kritik zu äußern.

Kennen Sie etwa Menschen (außer Ihren eigenen Mitarbeitenden natürlich!), die aus einem Jahresgespräch top motiviert herauskommen, sich über das gestärkte Vertrauensverhältnis mit ihrem Chef freuen und voller Elan die neuen Ziele angehen? Die sagen: „Wow, ich freu mich schon auf das nächste Gespräch!“? Ich nicht. 

Womit Sinn und Zweck von Mitarbeitergesprächen komplett verfehlt wären. Rätselhaft also, warum sich diese Gespräche als wesentliches Instrument der Mitarbeiterführung, -bewertung und -entwicklung trotzdem so hartnäckig halten…

Warum ein jährliches Mitarbeitergespräch ungeeignet ist

Solche Gespräche können gar nicht funktionieren. Welcher normal denkende Mensch würde einem Freund oder Partner einmal im Jahr sagen, was er von ihm hält, was in den letzten 12 Monaten gut oder falsch lief? Welchen Nutzen soll man bitte aus Kritik ziehen, die sich auf ein Monate zurückliegendes Ereignis bezieht, an das man sich vielleicht gar nicht mehr erinnert? 

Im Geschäftsleben soll das plötzlich sinnvoll sein. Auch eine zwanghafte Ausrichtung von Zielen auf 12 Monate in die Zukunft spiegelt meist kaum die betriebliche Realität wider – Szenarien und Pläne ändern sich laufend. 

Dazu finden Mitarbeitergespräche nie wirklich im Vertrauen und auf Augenhöhe statt, wie es nötig wäre und wie es Ratgeber postulieren. Das war dann so toll, dass das Dokument als Protokoll in die Personalakte wandert. Und wenn zum Ende des Gesprächs Bonus und Gehaltserhöhung verhandelt werden, werde ich mich als Mitarbeiter sehr hüten, vorher offen über Probleme zu reden oder sogar Kritik zu üben.

Man muss auch so ehrlich sein und zugeben, dass es klar definierte Aufgabenfelder gibt, in denen es vollkommen ausreicht, wenn der Mitarbeiter gewissenhaft seinen Job macht und ein bisschen mitdenkt. Dort einmal pro Jahr krampfhaft nach Entwicklungspotenzialen zu suchen, die schlicht nicht da sind, motiviert nicht wirklich. 

Bei den anspruchsvolleren Positionen sollte man meinen, dass man Leute dafür auswählt, die man nicht alle Jahre wieder daran erinnern muss, ihr Bestes zu geben und an sich zu arbeiten. Direktes Feedback im Arbeitsalltag, öfter mal ein aufrichtiges „Gut gemacht!“ und zwanglose Unterhaltungen an der Kaffeemaschine sind wesentlich wirkungsvoller.

Die jährlichen Mitarbeitergespräche, die um den Jahreswechsel herum geführt werden sollen, kosten auch Produktivität. Bei Mitarbeitern geht die Angst vor unberechtigter Kritik oder überhöhten Zielen um. Manager werden wochenlang durch Vor- und Nachbereitung der Gespräche blockiert.

Das jährliche Mitarbeitergespräch passt nicht in ein agiles Umfeld

In einem agilen Umfeld gibt es wenig Argumente, die für jährliche Mitarbeitergespräche als zentrale Maßnahme der Personalführung sprechen. Wie erwähnt: Zwölf Monate sind heutzutage ein unüberschaubarer Zeitraum – sowohl rückwirkend für Feedback als auch vorausschauend zur Zielsetzung. 

Das haben große Unternehmen wie Adobe, Google, Microsoft und Accenture bereits vor Jahren erkannt und Jahresgespräche abgeschafft; nicht nur, weil sie dadurch jährlich tausende Stunden zweifelhaft eingesetzte Arbeitszeit einsparen. Komplett auf Leistungsbewertungen möchte niemand verzichten, jedoch gibt es inzwischen vielversprechende Konzepte, die das Mitarbeitergespräch ersetzen können. 

Check-in-Gespräche ermöglichen zeitnahes Feedback

Die eine Alternative zur jährlichen Leistungsbeurteilung gibt es noch nicht, aber es gibt Anwärter auf diesen Posten. Einer davon kommt – wie immer – aus den USA, wo die erwähnten großen Player schon vor Jahren die Ineffektivität des jährlichen „Performance review“ erkannt und ein Modell entwickelt haben, das besser für die Motivation und Förderung der Mitarbeiter geeignet ist: das Check-in-Gespräch. Check-ins sind mittlerweile bei Adobe oder Deloitte zum Standard bei der Mitarbeiterführung geworden.

„To check in with someone“ heißt so viel wie „sich bei jemandem melden, um zu sehen, wie es ihm geht“. Das trifft es perfekt: Check-ins sind kurze, relativ formlose Gespräche zwischen Mitarbeiter und Führungskraft; in regelmäßigen, nicht unbedingt festgelegten Abständen. Sie werden zum Beispiel einmal während eines achtwöchigen Entwicklungssprints abgehalten oder auch wöchentlich in der Fünfminutenvariante. 

Bei Deloitte sind die Mitarbeiter für die Terminierung der Gespräche verantwortlich. Dabei wird der Status aktueller Projekte besprochen, was der Mitarbeiter geleistet hat, welche Probleme oder Hindernisse es gibt und wie diese beseitigt werden können. Es werden kurzfristige Qualifizierungsmaßnahmen und längerfristige Entwicklungsmöglichkeiten besprochen. Ganz wichtig: die Check-ins dienen zum Austausch von wechselseitigem Feedback, wie beide Parteien die Zusammenarbeit verbessern können.

Freiräume und eine offene Feedback-Kultur sind die Basis

Finden Sie gut? Mit der Einführung regelmäßiger, kurzer Gespräche ist es jedoch nicht getan. Check-ins können nur in einer entsprechenden Kultur funktionieren. Manager müssen den nötigen Freiraum für diese Führungsaufgabe, das Coaching Ihrer Mitarbeiter, bekommen. Sind die Check-ins nur on top zum aktuellen Geschäft, werden sie wieder zur Pflichtaufgabe. 

Außerdem brauchen Führungskräfte die nötigen Kompetenzen, um spontan Maßnahmen ergreifen zu können. Was, wenn in einem Check-in herauskommt, dass ein Mitarbeiter akuten fachlichen Nachholbedarf hat? Dann darf es nicht Wochen dauern, das Budget für ein passendes Seminar zu bewilligen. Sonst wird der agile, kurzfristige Ansatz der Check-in-Gespräche ad absurdum geführt.

Eine offene Feedback-Kultur im ganzen Unternehmen ist die Basis des Erfolgs. Herrschen Misstrauen und Angst, ist es egal, ob Gespräche wöchentlich oder jährlich stattfinden: es wird nichts dabei herauskommen. Das Management muss beginnen, diese Kultur vorzuleben und die Mitarbeiter an das neue Instrument heranzuführen. 

Übrigens: Verhandlungen über Gehälter oder Beförderungen sollten separat von den Check-ins behandelt werden. Sonst können solche konfliktbehaftete Themen leicht den eigentlichen Zweck der Check-ins überlagern. (Das gilt fürs jährliche Mitarbeitergespräch und für jedes Feedback-Gespräch gleichermaßen.)

Es geht um Vertrauen, nicht um Checklisten

Mit Check-ins bekommen Gespräche zwischen Führungskraft und Mitarbeiter wieder ihren eigentlichen Sinn zurück. Es geht nicht darum, Frust loszuwerden oder eine Checkliste abzuarbeiten; sondern darum, die Zusammenarbeit zu verbessern, sich weiterzuentwickeln, sich gegenseitig zu motivieren und zu unterstützen und das Vertrauensverhältnis zu vertiefen. Wäre doch schön, wenn ihre Team-Mitglieder sagen können: Mitarbeitergespräch? Ich freu mich drauf!

Bild: Fotolia – dp@pic

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