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Gehaltstransparenz: Wie Unternehmen von „open salaries“ profitieren

Jeder weiß exakt, was Kolleg*innen jeden Monat aufs Girokonto überwiesen bekommen: in Deutschland scheint das undenkbar. Man kann nicht den Begriff „Gehaltstransparenz” sagen, ohne gleichzeitig „Tabuthema“ und  „Neidkultur“ zu denken.  

Doch diese Denkweise ist überholt. Vor allem die jüngeren Generationen sprechen offen über Geld, und empfinden ungerechtfertigte Gehaltsunterschiede zwischen Kolleg*innen als No-Go. Zudem verpflichtet das Entgelttransparenzgesetz Unternehmen dazu, Gehälter zumindest teilweise offenzulegen.

Welche Möglichkeiten haben Unternehmen, Gehälter transparenter zu gestalten, und warum sollten sie das tun? Wir profitieren sie selbst und Mitarbeitende davon?

Entgelttransparenzgesetz zwingt (größere) Unternehmen zu Gehaltstransparenz

Arbeitnehmende in Deutschland dürfen vom Arbeitgeber Auskunft darüber verlangen, wie ihr Gehalt berechnet wird und wie sie im Vergleich zu Kolleg*innen abschneiden – speziell im Vergleich zu solchen anderen Geschlechts. In Unternehmen, die nach Tarif zahlen, gibt der Betriebsrat die Auskunft, ansonsten der Arbeitgeber selbst, meist die Personalabteilung. 

Das schreibt das Entgelttransparenzgesetz seit 2018 vor; jedoch nur für Unternehmen mit mehr als 200 Mitarbeitenden und wenn es mindestens sechs Mitarbeitende in vergleichbaren Positionen gibt. Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten müssen regelmäßig überprüfen, ob sie alle Mitarbeitenden in Sachen Gehalt gleich behandeln und darüber einen Bericht erstellen.

Ein Großteil der Unternehmen darf also per Gesetz so weitermachen wie bisher, weil sie nicht die im Entgelttransparenzgesetz Bedingungen erfüllen. Doch viele haben erkannt, dass zu viel Heimlichtuerei beim Thema Gehalt schadet; Mitarbeitende reden untereinander sowieso übers Geld oder tragen ihr Gehalt anonym auf Online-Portalen für Gehaltsvergleiche ein. Welche Möglichkeiten haben Arbeitgeber?

Das Unternehmen Buffer veröffentlicht alle Gehälter im Netz

Bitte schreiben Sie doch mal Ihr Jahresgehalt, Ihren Namen, Ihre Position und Ihr Unternehmen als Kommentar unter diesen Blogbeitrag. Nein, nein, brauchen Sie nicht. Ich mache nur Spaß. Ich kenne Ihr Gehalt längst, denn es steht öffentlich auf der Website Ihres Arbeitgebers. Was?

Klingt komisch, wäre aber so, wenn Sie bei der Softwareschmiede Buffer arbeiten würden. Die listet im Web die Gehälter aller Angestellten vom CEO bis zum „Twitter Hero“ auf.

 

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Buffer veröffentlicht die Gehälter aller Angestellten auf der Website (Screenshot: https://buffer.com/salaries)

 

Zugegeben, das ist extrem, und für deutsche Verhältnisse befremdlich. Doch die Zahl der Unternehmen wächst, die zumindest intern Gehälter und deren Berechnung transparent machen. Zum Beispiel die US-Supermarktkette Whole Foods. Jeder kann dort nachschauen, welches Sümmchen die Kolleg*innen monatlich aufs Konto bekommen.

Die 3 Stufen von Gehaltstransparenz

Die beiden Unternehmen sind Beispiele für die konsequente Offenlegung der absoluten Gehälter, öffentlich oder nur unter den Mitarbeitenden. Unternehmen haben zwei weitere, „mildere“ Möglichkeiten, Gehaltstransparenz umzusetzen:

Sie können Gehaltskorridore oder Gehaltsbänder festlegen und veröffentlichen: einen Gehaltsbereich von X bis Y Euro für eine bestimmte Position. Welches Gehalt einzelne Mitarbeitende innerhab des Korridors verdienen, wird nach festen Kriterien ermittelt. Das können harte Kriterien sein, wie Berufserfahrung oder fachliche Qualifikationen; andere Arbeitgeber berücksichtigen auch die persönliche Situation von Arbeitnehmenden, zum Beispiel, ob sie Familie haben. 

Die IT-Beratung MaibornWolff listet die Gehaltskorridore nach Position auf ihrer Webseite auf:

 

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Gehaltskorridore für die Angestellten der IT-Beratung MaibornWolff (Screenshot: https://www.maibornwolff.de/karriere/gehalt-entwicklung)

 

Statt konkrete Summen zu nennen, entwickeln andere Arbeitgeber nachvollziehbare Berechnungsformeln für Gehälter. So können alle ausrechnen, wie ihre Bezahlung zustande kommt. Sie können anhand der Formel schätzen, was Kolleg*innen verdienen, ohne deren exaktes Gehalt zu kennen.

Das bereits erwähnte Unternehmen Buffer erklärt die Formel und die Kriterien ebenfalls auf seiner Webseite:

 

Die Berechnungsformel für die Gehälter bei Buffer (Screenshot: https://buffer.com/salaries)

 

Die Softwareentwicklung elbstack aus Hamburg hat ebenfalls eine transparente Formel entwickelt; diese ist jedoch nur intern bekannt. Sie ergänzt das Modell um einen weiteren Aspekt und gibt Mitarbeitenden die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wie viel sie arbeiten und verdienen möchten.

 

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Transparentes Gehaltsmodell beim Software-Entwickler elbstack (Screenshot: https://elbstack.com/#culture)

 

Führen transparente Gehältern zu höheren Personalkosten?

Manche Arbeitgeber fürchten, dass transparente Gehälter ständige Diskussionen in den Teams befeuern. Außerdem könnten sie am Ende drauflegen, weil alle die Angleichung ihres Gehalts an das der besser verdienenden Kolleg*innen fordern. Das kann passieren – in der Regel ist jedoch das Gegenteil der Fall.

Wenn allgemein bekannt ist, wer wie viel verdient, entsteht eine gewisse „Selbstregulierung”. Einzelne werden sich zweimal überlegen, ob sie große Gehaltssprünge fordern und sich damit den Unmut des Teams zuziehen sollen. 

Außerdem mögen einige Gehaltserhöhungen fordern, obwohl sie zufrieden sind – nur aus der Angst heraus, dass sie schlechter als ihre Kolleg*innen bezahlt werden können. Transparente Gehälter nehmen solche Ängste. Erfahrungen zeigen, dass sich die Höhe der Gehälter nach der Einführung von Gehaltstransparenz relativ schnell einpendelt und nicht nach oben schießt.

Gehaltsverhandlungen werden einfacher

Durch transparente Gehälter und Berechnungsformeln sparen sich Unternehmen nervenaufreibende Gehaltsverhandlungen, die viel Zeit kosten und bei denen am Ende beide Seiten unzufrieden sind. Gehalt wird zu einem „Standardthema“, das einfach nur geklärt werden muss.

Auch fürs Recruiting gibt es Vorteile; vor allem, wenn Unternehmen öffentliche Angaben zu Gehälter machen. Bewerber*innen können sich dann vorab informieren, ob Ihr Wunschgehalt beim betreffenden Arbeitgeber erreichbar ist. Das Thema Gehalt steht nicht während den Job-Interviews als „weißer Elefant im Raum“. Arbeitgeber und Kandidat*in müssen nicht nach mehreren Terminen feststellen, dass zwar alles passt, aber die Gehaltsvorstellungen meilenweit auseinanderliegen.

Transparenz wirkt latenter Unzufriedenheit entgegen

Studien zeigen: ein Großteil der Angestellten fühlt sich unterbezahlt und nimmt an, andere würden mehr verdienen – völlig unabhängig von der realen Situation. Heimlichtuerei verstärkt dieses Gefühl nur. Wo alles fair und gerecht zugeht, könnte man ja offen und ehrlich sein, oder? 

Dabei geht es nicht einmal um die absolute Höhe des Gehalts; sondern mehr um die Frage, nach welchen Kriterien es berechnet wird. Wenn ein Konzern-Kollege tausend Euro pro Monat mehr verdient als ich, ist das erst einmal unfair. Wenn der Kollege ein Familienvater aus München mit 15 Jahren Berufserfahrung ist und ich ein allein lebender Berufsanfänger aus Leipzig bin, kann ich mit dem Gehaltsunterschied leben. Wenn aber der Kollege einfach nur besser verhandelt oder lauter geschrien hat, bleibt es unfair.

Sind Ihre Gehaltsstrukturen fair und nachvollziehbar?

Das Entgelttransparenzgesetz erlaubt Mitarbeitenden, vor Gericht zu klagen, wenn sie ohne Grund weniger Geld bekommen als Kolleg*innen des anderen Geschlechts mit gleichwertigen Aufgaben. Könnte das bei Ihnen passieren? Selbst wenn Ihr Unternehmen unterhalb der 200-Mitarbeiter-Grenze bleibt: Würde Offenheit in puncto Gehalt bei Ihnen intern zu Unruhe und Neid-Debatten führen? 

Wenn ja, ist nicht die Transparenz das Problem, sondern Ihre Gehaltsstrukturen. Sind bei Ihnen „deutsch, männlich, groß, mit selbstbewusstem Auftreten“ die inoffiziellen Kriterien für hohe Gehälter? Oder könnten Sie Ihren Mitarbeitenden objektiv erklären, warum sie wie viel verdienen, warum sie mehr und er weniger?

Transparente Gehälter sind ein Turbo für die Motivation

Geld allein macht nicht glücklich und motiviert auch nicht nachhaltig – das wissen wir, und darum geht es nicht. Es geht um das Gefühl, fair bezahlt, unter Kolleg*innen gleichwertig behandelt und wertgeschätzt zu werden. Dieses Gefühl ist ein echter Turbo für Motivation und Produktivität sein und wird den Zusammenhalt in Ihren Teams stärken.

Es dürfte ziemlich unwahrscheinlich sein, dass deutsche Unternehmen ihre Gehälter eines Tages tatsächlich auf der Website veröffentlichen. Doch ein paar Schritte hin zu transparenterer und fairerer Bezahlung täte kleinen und großen Unternehmen gut – ohne dass sie per Gesetz dazu verpflichtet sind.

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