Nicht jede Übung macht den Meister: Wie Sie ein Profi werden

Wenn wir besser werden wollen, müssen wir nur oft genug üben, hat man uns gesagt. Doch obwohl wir seit Jahren immer und immer wieder Tennis spielen, Reden halten oder kochen, wird kein Profi aus uns.

Warum nicht?

Schon in den 1970-er Jahren hat ein Psychologe in einem spannenden Versuch erforscht, wann uns Übung besser macht – und wann nicht.

Insgeheim wären wir doch gerne Profis: Im Tennis, im Präsentieren, im Autofahren oder Kochen. Doch ereilt uns leider dasselbe Schicksal wie 99% aller anderen Menschen. Wir tun diese Dinge immer wieder und hatten recht schnell ein „ganz gutes“ Niveau erreicht, das war es dann aber auch.

Wenn Übung den Meister machen würde, müssten wir längst Weltspitze sein. Aber selbst nach Jahrzehnten verziehen wir immer noch die Rückhand nach links, sagen ständig „ähm…“, lassen das Getriebe krachen und den Reis anbrennen.

Einfaches Wiederholen bringt uns nicht weiter

Schon in den 1970-er Jahren ist der Psychologieprofessor Anders Ericsson diesem Phänomen auf den Grund gegangen. Er ließ einen durchschnittlichen Studenten beliebige Zahlenreihen aus dem Gedächtnis wiederholen. Nach nur wenigen Sitzungen konnte sich Steve, so hieß der Student, von sechs auf acht Ziffern steigern.

Sich an neun Ziffern korrekt zu erinnern schaffte er mal und mal nicht, zehn jedoch schienen ein Ding der Unmöglichkeit. Auch Wochen weiterer Übungen konnten daran nichts ändern. Reines Wiederholen einer Übung schien also auch reine Zeitverschwendung.

Dann änderte der Professor Ericsson Steves Trainingsmethode. Wenn Steve beispielsweise sieben Ziffern korrekt wiederholen konnte, ging es mit acht Ziffern weiter, dann mit neun, und so weiter. Wenn Steve einen Fehler machte, musste er wieder zwei Stufen zurückgehen.

Überraschenderweise konnte Steve recht schnell seine bisherigen Grenzen sprengen. Schon nach wenigen Tagen war er bei elf Ziffern und nach 200 Übungssitzungen innerhalb von zwei Jahren konnte Steve sage und schreibe 80 (!) Ziffern aus dem Gedächtnis wiederholen.

Heute, über 40 Jahre später, ist diese Zahl zwar schon um ein zigfaches übertroffen. Aber die meisten von uns würden es bei sich selbst schlicht für unmöglich halten, sich an 80 Ziffern erinnern zu können.

Dabei dürfen wir jedoch nicht annehmen, dass die Steigerung in Steves Erinnerungsvermögen einfach auf das zusätzliche spielerische Element zurückzuführen wäre. Der Professor machte sich den Umstand zunutze, dass Steve Langstreckenläufer war. Dadurch war er es erstens gewohnt, große Einheiten (Meilen) gedanklich in kleine, überschaubare aufzuteilen. Diese Methode war ihm auch beim Erinnern der Ziffern sehr hilfreich.

Zweitens hatte Steve schon an vielen Wettbewerben teilgenommen und war einigermaßen ehrgeizig. Durch die eingebaute Steigerung bei Erfolg und „Bestrafung“ bei Fehlern versetze Ericsson Steve sozusagen in den Wettkampfmodus, eine bekannte Situation, die bei ihm für höchste Konzentration sorgte.

Das scheinbar Unmögliche möglich machen

Ein weiterer Baustein des Übungserfolgs war die spezielle Taktik, die Ericsson anwandte. Durch die Steigerung um jeweils eine Ziffer gab er Steve ein Ziel, das immer ein klein wenig über dem lag, was Steve bisher für machbar gehalten hatte. Das waren Ziele, an denen Steve konkret arbeiten konnte.

Er musste sich keine Gedanken machen, ob er das je schaffen könnte oder wie gut er je werden würde. Bei der Ansage „In zwei Jahren musst du 80-stellige Zahlenreihen auswendig lernen können“ hätte er wahrscheinlich recht schnell das Handtuch geworfen.

Im Sport lässt sich diese Taktik recht gut beobachten. Jedes Jahr werden noch bessere Leistungen erbracht, Weltrekorde wieder und wieder gebrochen. Das ist normal. Das war nicht immer so. 1908 lief Johnny Hayes den Marathon bei Olympia in gut 2 Stunden und 55 Minuten: ein „Jahrhundertrennen“, wie man damals sagte. Bei den gleichen Olympischen Spielen verletzte sich ein Turmspringer bei einem Doppelsalto, worauf es Bestrebungen gab, den Sprung wegen seines zu hohen Risikos bei Wettkämpfen zu verbieten.

Heute versuchen sich ambitionierte Hobby-Sportler an den genannten Leistungen. Das Problem damals war: Man machte sich zu viele Gedanken, was möglich ist, anstatt einfach noch härter oder mit einer anderen Technik zu trainieren und sich kontinuierlich Stück für Stück zu verbessern.

Ein spannender Ausflug in das Feld der Psychologie und des menschlichen Lernvermögens – finden Sie nicht?

Wir haben gelernt: Einfaches Wiederholen allein macht aus uns noch keinen Meister. Aber was heißt das jetzt für Ihr Tennisspiel, Ihre Präsentationen, Ihre Fahr- und Kochkünste? Wie werden Sie ein richtiger Profi und können sich von „ganz okay“ zu „spitzenmäßig“ steigern?

Wann Übung den Meister macht

Durch lockeres Üben jedenfalls nicht.

„Ich mache das schon seit 20 Jahren!“ Mit einem Satz wie diesem gibt man seinem Gegenüber gerne einmal zu verstehen, wer hier der Chef ist und dass man sich jeden Zweifel an den eigenen Fähigkeiten verbittet. Diese Aussage beruht jedoch auf der Annahme, dass je länger man etwas tut, desto besser man darin wird. Eine höchst zweifelhafte Annahme, wie wir bereits gesehen haben.

Durch einfaches Wiederholen einer Sache, und sei es über einen noch so langen Zeitraum, wird man nie wirklich gut. Meist pendelt man sich recht schnell auf einem akzeptablen Niveau ein und verharrt dann dort sein Leben lang. Höchstwahrscheinlich machen wir einfach die gleichen Fehler immer und immer wieder.

Was machen die anders, die sich über die Jahre einen Ruf als Experte, als Genie, erworben haben, die ihr Geld als Profi in Sport, Kunst, Wissenschaft, etc. verdienen? Nur mit zielgerichtetem Training können wir uns Schritt für Schritt verbessern.

Vier Faktoren, die erfolgreiches Training ausmachen

Dafür brauchen wir die passende Übungsmethode. Der bereits erwähnte Psychologieprofessor Alan Ericsson hat dafür über die Jahre ein Konzept entwickelt, das er „zielgerichtetes Training“ nennt. Vier Kernpunkte dieser Methode stelle ich Ihnen vor:

Kurzfristige Ziele

An kurzfristigen Zielen können wir konkret arbeiten. Wir finden schnell heraus, was wir tun müssen, um sie zu erreichen. Und wir sind uns sicher, dass wir sie erreichen können, denn es sind ja nur wenige Schritte bis dorthin. Hohe, langfristige Ziele sind schwer anzugehen und demotivieren leicht.

Machen Sie sich also keine Gedanken, wo Ihre Grenzen liegen könnten. Sie wissen es sowieso nicht. Gehen Sie einfach den nächsten kleinen Schritt.

Komfortzone verlassen

Wir neigen dazu, unsere Schwächen zu umgehen. Wenn unsere Rückhand schlecht ist, spielen wir mehr Vorhand. Wenn wir uns bei der freien Rede verhaspeln, lesen wir ab. Besser werden wir so aber nicht.

Die Ziele, die wir uns stecken, müssen höher sein als das, was wir bisher erreicht haben, wenn auch nur ein wenig. Wenn mir mit einer Methode an unsere Grenzen stoßen, müssen wir eben eine andere ausprobieren. Wenn uns eine Übung leicht fällt, wird es Zeit, die Latte ein wenig höher zu legen.

Feedback einholen

Aus Fehlern lernt man. Dafür muss man aber erst einmal wissen, was man falsch macht. Dann muss man analysieren, warum man den Fehler immer wieder macht und eine Methode finden, wie man den Fehler abstellen kann. Ein paar ganz selbstkritische unter uns mögen das alles selbst hinbekommen.

Im Allgemeinen ist es aber doch am besten, sich Feedback von außen zu holen. Von jemand, der bereits ein Experte ist. Manche sagen auch Trainer, Coach, Lehrer dazu.

Konzentration

Klingt eigentlich selbstverständlich, dass man zum Lernen und Üben eine passende Umgebung wählt, die nicht ablenkt, die den Fokus verstärkt. Dass wir uns warm machen, mental vorbereiten und in Stimmung bringen. Damit unser Körper und Geist in Höchstform kommen sind ein gewisser Stress und Anspannung einfach erforderlich. Und dann wundern wir uns, warum uns die fünfminütigen Lektionen in der Lern-App beim Feierabend-Bierchen oder in der Straßenbahn nicht so wirklich nach vorne bringen.

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es…

Eigentlich nicht schwierig, oder? Nur klingt es nach verdammt harter Arbeit, was die ganze Sache doch wieder ein wenig unattraktiver macht. Es ist auch ok, wenn Sie Ihr Handicap für eine entspannte Golfrunde am Wochenende ausreichend finden und damit leben können, dass nach Ihrer Präsentation im letzten Quartalsmeeting niemand geklatscht hat. Man muss nicht in allem der Beste sein.

Aber es gibt doch für jeden von uns diese eine Sache, in der wir gerne richtig gut wären: Endlich im Frankreich-Urlaub ausgiebig mit den Einheimischen parlieren können. Die Gäste am Abend mit einem raffinierten, selbst gekochten Menü verwöhnen können. Beim nächsten Stadtmarathon unter drei Stunden kommen.

Haben Sie auch so einen Traum? Dann fangen Sie schon mal an zu üben, üben, üben. Aber bitte richtig!

Quelle: Peak: Secrets from the New Science of Expertise

Bild: Unsplash – David Schap

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