Soft Skills vs. Fachkompetenz: Was macht eine gute Führungskraft aus?

Fachkompetenz als Anforderung an Führungskräfte hat in den letzten Jahren deutlich an Relevanz verloren. Charisma, emotionale Intelligenz, Agilität – solche Soft-Skills sind die angebliche Super-Power von Führungskräften in diesem Jahrtausend. Andererseits: Wir alle respektieren Chefs, die sich super in ihren Fachbereichen auskennen und viele Jahre Erfahrung haben.

Was also macht eine gute Führungskraft aus: Soft Skills oder Fachkompetenz? Was hat größere Auswirkungen? Und muss es wirklich entweder, oder heißen?

Soft Skills beeinflussen Produktivität und Mitarbeiterbindung

„Mitarbeiter verlassen keine schlechten Unternehmen, sie verlassen schlechte Chefs“, sagt eine alte Manager-Weisheit. Der Einfluss der „menschlichen Faktoren” von Vorgesetzten auf die Produktivität und die Zufriedenheit von Mitarbeitern ist nachweislich größer als jeder andere Faktor. 

Das sagt allein unsere persönliche Erfahrung: Wovon hängt es ab, ob ich meinen Job liebe oder jeden Morgen mit Grummeln im Bauch im Büro auftauche? Klare Ziele, gelebte Wertschätzung, und ganz allgemein sympathische und berechenbare Führungskräfte sind elementar. Solche Faktoren trösten und leicht darüber hinweg, dass der Job vielleicht hier und da etwas langweilig ist oder wir anderswo ein paar Euros mehr verdienen können.

Eine Studie von Forschern des Boston College, der Harvard University und der University of Michiganergab, dass Soft-Skill-Training für Führungskräfte die Produktivität und Bindung der Mitarbeitenden um 12 Prozent steigern und einen Return-on-Invest von 250 Prozent erzielen könne.

Laut dem Deloitte’s 2016 Global Human Capital Trends Report sehen Führungskräfte Soft Skills als kritisch an, um eine bessere Führungskultur zu schaffen und die Mitarbeiterbindung zu erhöhen.

Aufschlussreich: Eine Befragung von Businesssolver unter 2.000 US-Arbeitnehmenden zeigt die Wichtigkeit von Empathie: 77 % sagten, dass sie für einen empathischen Arbeitgeber eher Überstunden machen würden; immerhin 60 % waren bereit, sogar ein etwas niedrigeres Gehalt zu akzeptieren.

Andersherum töten schlechte Führungskräfte die Motivation der Mitarbeitenden und treiben sie in die Kündigung. In einer groß angelegten Gallup-Studie unter 35.000 Managern kam heraus, dass 82 % der Manager nicht besonders gut darin seien, Menschen zu führen. Sie bezifferten die Kosten schlechter Führung für die US-Wirtschaft mit 550 Milliarden US-Dollar pro Jahr!

Laut Harvard Business Review scheiterten 2 von 5 CEOs innerhalb von 18 Monaten auf einer neuen Position: Nicht wegen mangelnder Fachkompetenz; sondern hauptsächlich, weil sie sich selbst überschätzten (Hybris) und ein zu großen Ego hätten, unflexibel seien und ihr Führungsstil schlicht veraltet sei.

Welche Soft Skills sind für Führungskräfte heute besonders relevant?

Die wichtigsten Soft Skills von guten Führungskräften

Jenseits der Allgemeinplätze Eigeninitiative, Belastbarkeit

Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung und Selbstkritik

Je weiter oben im Organigramm eine Führungskraft steht, desto weniger ehrliches Feedback wird sie bekommen. Führungskräfte müssen deshalb sich selbst – ihre Stärken und Schwächen – realistisch einschätzen können. Sie müssen erkennen, wo sie sich weiterentwickeln müssen oder wenn sie Hilfe brauchen. 

Empathie oder Einfühlungsvermögen

Jede einzelne Mitarbeitende hat seinen Charakter, seine Probleme und Ängste, seine Ziele und Wünsche. Führungskräfte müssen aufmerksam zuhören und versuchen, sich in jedes einzelne Team-Mitglied einzufühlen. Nur so finden sie heraus, wie sie die Einzelnen optimal fördern und unterstützen können. Darüber hinaus ist für viele Angestellte allein der Gedanke beruhigend, dass sie jederzeit ein offenes Ohr bei den Führungskräften finden können.

Kommunikationsfähigkeit

Führung ist permanente Kommunikation: Ziele mitteilen, Projekte besprechen, Feedback geben und nehmen, mit dem Management verhandeln, Einzelgespräche mit Mitarbeitenden. Vor allem, wenns mal nicht so läuft oder schlechte Nachrichten zu verkünden sind, ist Kommunikationsgeschick gefragt.

Delegieren, Teamfähigkeit

Was sind meine eigenen Aufgaben – und was ist Sache des Teams? Führungskräfte brauchen ein klares Verständnis, welche Aufgaben sie delegieren können und müssen – vor allem welche Verantwortung und welche Entscheidungen. Sonst verzetteln sie sich im Mikro-Management: Sie kümmern sich um Kleinigkeiten statt um ihre strategischen Ziele und demotivieren ihr Team.

Durchsetzungs- und Durchhaltevermögen

Ein Unternehmen ist kein Ponyhof – Führungskräfte müssen für ihre Ziele und Initiativen kämpfen, ihr Team schützen, in Krisen der Fels in der Brandung sein. Sie brauchen einen langen Atem, wenn sie Veränderungen anstoßen und die positiven Auswirkungen noch auf sich warten lassen.

Entscheidungsstärke, Mut

Führungskräfte dürfen keine Angst vor Entscheidungen haben, müssen Verantwortung tragen und kalkulierte Risiken eingehen. Wenn sie unter Druck stehen, können sie schnelle Entscheidungen mit kühlem Kopf treffen – und korrigieren, wenn sie feststellen, dass sie falsch entschieden haben.

Werteorientierung, Verlässlichkeit

Mitarbeitende wollen berechenbare Chefs, die nachvollziehbare Entscheidungen treffen – nicht heute so, morgen so. Ideal ist, wenn Mitarbeitende jeweils verstehen, warum Führungskräfte diese oder jene Entscheidung treffen. Ein fester Wert kann zum Beispiel die Kundenorientierung sein: Wir entscheiden uns immer für die Option, die den höchsten Wert für unsere Kunden schafft.

Zielorientierung

Top Führungskräfte führen durch Ziele: Sie geben vor, wo es hingehen soll; den besten Weg zum Ziel erarbeitet das Team. Das erfordert hohes Vertrauen ins Team und die Fähigkeit, loszulassen. Nur, wenn das Ziel in Gefahr ist, greifen Führungskräfte ein.

Führungsstärke

Alle nötigen Eigenschaften einer Führungskraft ließen sich unter dem Begriff „Führungsstärke“ zusammenfassen: Menschen für eine gemeinsame Sache zu begeistern, voranzugehen, sie bei der persönlichen Entwicklung zu unterstützen, gemeinsam Ergebnisse liefern. 

Gibts ein Erfolgsgeheimnis? Ein neueres Sprichwort sagt dazu: „Sie können Menschen nicht motivieren. Sie können nur aufhören, sie zu demotivieren.“

Auch fachkompetente Chefs machen glücklich

Keine Frage: Solche Leader brauchen wir. Doch sind es wirklich nur diese Eigenschaften, die Mitarbeitende glücklich und produktiv machen? 

Eine anscheinend weitgehend ignorierte Studie „Boss Competence and Worker Well-Being“, bei der 35.000 Angestellte befragt wurden, sagt etwas anderes. Die Ergebnisse lassen sich nämlich zu einer überraschend simplen Aussage zusammenfassen: Angestellte sind deutlich zufriedener, wenn sie einen Chef mit hoher Fachkompetenz haben. 

Da Kompetenz ein schwer zu definierender Begriff ist, haben die Forscher sie in drei Faktoren aufgeteilt. Die Mitarbeiterzufriedenheit steigt, wenn ein Chef…

  • …im Notfall die Aufgaben seiner Mitarbeiter übernehmen könnte.
  • …sich innerhalb des Unternehmens von der Pike an hochgearbeitet hat.
  • …hohe fachliche oder technische Expertise im Kerngeschäft besitzt.

Unternehmen mit fachkompetenten Chefs sind erfolgreicher

Was könnten die Gründe dafür sein? Es fällt einfach leichter, einen Chef zu akzeptieren und zu respektieren, der ein absoluter Experte auf seinem Gebiet ist. Es fällt leichter, einem solchen Chef zu verzeihen, wenn er manchmal chaotisch agiert und seine Marotten auslebt. 

Ein solcher Chef gibt mir das Gefühl, dass er mich weiterbringen und ich von ihm lernen kann. Ein Chef, der das Geschäft von Grund auf kennt, gibt mir die Sicherheit, dass er mich in brenzligen Situationen unterstützen und mir Lösungen aufzeigen kann.

Die höhere Mitarbeiterzufriedenheit unter fachlich kompetenten Chefs sorgt nicht nur für glückliche Gesichter, sondern selbstredend auch für höhere Produktivität, für niedrigere Fluktuation und im Endeffekt für mehr wirtschaftlichen Erfolg. 

Verschiedene Forschungen zeigen, dass die Performance von Kliniken oder Universitäten steigt, wenn sie von Doktoren oder Forschern geleitet werden, anstatt von fachfremden Managern. Genauso sind Sportteams tendenziell erfolgreicher, wenn der Trainer selbst eine Spielerkarriere in seinem Lebenslauf aufweisen kann. 

Ob das nur an der höheren Motivation der Mitarbeiter beziehungsweise Spieler liegt, oder ob fachlich versierte Chefs auch objektiv bessere Entscheidungen treffen, das sei einmal dahingestellt.

Fachkompetenz vs. Soft Skills – wie lässt sich der Widersprich auflösen?

Wie passt das mit der Ansicht zusammen, dass Fachkompetenz für Führungskräfte nicht so wichtig sei: da sie ja nicht operativ arbeiten, sondern „nur führen“ sollen? Dass die Soft Skills der Führungskraft entscheiden, wie zufrieden oder unzufrieden die Mitarbeitenden sind?  

Die zitierte Studie ist bereits aus dem Jahr 2014. Seitdem hat sich vieles geändert. Die Grundbedürfnisse der Menschen sind gleich geblieben: wie der Wunsch nach Sicherheit und nach Leadern, zu denen sie aufschauen können. 

Dass nur ein Mediziner die medizinische Leitung einer Klinik übernehmen kann, ist klar. Doch in vielen Bereichen der Wirtschaft können Führungskräfte kaum Experten aller Fachgebiete sein, die ihr Team abdeckt. Gerade im Technologie-Sektor: Es gibt einfach zu viele Technologien, die sich permanent verändern, und laufend gibt es neue.

Der agile Leader braucht nicht mehr alle nötigen Fachkompetenzen; er muss dafür sorgen, dass alle nötigen Fachkompetenzen in seinem Team vorhanden sind und das Team zusammenarbeitet. Ob mein Chef oder Kollegen mir weiterhelfen und mich im Notfall auffangen können, spielt keine Rolle – solange ich weiß, dass ich mich auf ihn oder sie verlassen kann.

Führungskräfte müssen offen damit umgehen können, dass einzelne Team-Mitglieder auf bestimmten Gebieten kompetenter sind als sie. Sie geben nicht vor, alles zu wissen, und treffen Entscheidungen allein – da sind wir wieder bei den Soft Skills.

Trotzdem enthält die Studie einen wichtigen Hinweis an Führungskräfte: Vernachlässigen sie Ihre Fachkompetenz nicht! Sie ist relevant und beeinflussen die Zufriedenheit und Produktivität Ihres Teams merklich. Und sie verschafft ihnen Respekt. Zumal im Technologie-Sektor: Mitarbeitende erwarten, dass Führungskräfte mitreden können und verstehen, was sie machen. (Und keine Ziele vorgeben, bei denen jeder sofort weiß: „Das funktioniert nicht.“)

Fazit: Arbeiten Sie an Ihren Führungsqualitäten. Gleichzeitig halten Sie sich fachlich auf dem Laufenden und bauen ihre Fachkompetenz – zumindest auf einem Gebiet.

 

Bild: Fotolia – kudosstudio

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